Neumarkt an der Etsch.
Geschichtlicher Überblick
Sich auf das Gebiet der heutigen Gemeinde Neumarkt zu beschränken, ist für die Urgeschichte nicht sinnvoll. Archäologische Funde müssen in jedem Fall in einen etwas größeren räumlichen Rahmen gestellt werden.
Der Hügel von Castelfeder im Gemeindegebiet von Montan steht kulturell Neumarkt näher, wird von der Wissenschaft betont.
In der dünnen Ablagerungsschicht, die den Porphyrfelsen von Castelfeder bedeckt, können ab der frühen und mittleren Jungsteinzeit über vier Jahrtausende kontinuierliche Besiedelung nachgewiesen werden. Älteres und jüngeres Fundgut ist hier allerdings stark vermischt. Bezüglich der Bronzezeit ist u.a. ein Lappenbeil aus dem 8. Jahrhundert zu erwähnen, das auf über 1600 m Höhe im Bereich der Königswiese in der Neumarkter Fraktion Mazon gefunden wurde und als Opfergabe an die Berggötter angesehen wird. Über eine Bronzelanzenspitze aus dem Schloss Enn im Stadtmuseum Bozen kann ebensowenig Genaueres gesagt werden wie über eine weitere aus der Umgebung von Neumarkt im Tiroler Landesmuseum Ferdinandeum in Innsbruck.
Im Ortsteil Vill, in Neumarkt selbst und in der Fraktion St. Florian/Laag haben systematische Grabungen besonders seit den 80er Jahren zahlreiche Erkenntnisse für die Situation während der Römerzeit gebracht. Unter der gotischen Marienkirche in der Vill konnten nicht nur Reste eines sehr bescheidenen hochmittelalterlichen Baues nachgewiesen werden, sondern auch römerzeitliche Mauern, die durch Leistenziegelfragmente datierbar sind. Die ursprüngliche Position der schon Mitte der 60er Jahre entdeckten und in der Kirche aufgestellten antiken Grabplatte, die ins 1. Jh. n. Chr. datiert wird, vermutet man allerdings in einer Nekropole längs der heutigen Bozner Straße, wo ab 1988 bereits 40 Gräber freigelegt werden konnten.
Besonders bemerkenswert sind Mauerstrukturen, die vor etwa zehn Jahren ans Tageslicht kamen. Man vermutet darin sogar jene römische Straßenstation an der Via Claudia Augusta, die im „Itinerarium Antonini“ als „mansio Endidae“ bezeichnet wird. Ziegelstempel AVRESIS, Glas- und Keramikfunde ermöglichen eine Datierung des Gebäude ins 1. Jh. n.Chr. Zerstört wurde es offenbar durch ein Erdbeben, das noch deutlich erkennbare Risse im Mauerzug und im umgebenden Erdreich hinterlassen hat.
Spärlicher sind Funde von der Spätantike bis zum frühen Mittelalter, doch lassen sie zumindest für St. Florian die Annahme einer Siedlungskontinuität zu.
In den unruhigen Zeiten voller kriegerischer Ereignisse spielte der Schutz bietende Hügel von Castelfeder zweifellos eine bedeutendere Rolle. Dass die Franken bei ihrem Einfall um 590 auf ihrem Weg durch den Vinschgau durch das Etschtal bis über Trient hinaus zahlreiche befestigte Orte („Burgen“) zerstörten, wie Paulus Diaconus in seiner Geschichte der Langobarden überliefert, ist gesichert. Die Berechtigung, „Ennemase“ von „Endide Mansio“ abzuleiten und entsprechend mit einem Ort im Gebiet des späteren Gerichtes Enn beziehungsweise der Gemeinde Neumarkt gleichzusetzen, ist zu bezweifeln, zumal „Ennemase“ in der Aufzählung aus der Reihe tanzt - es wird zwischen Volanes (Volano) und Alsuca (Ausugum = Borgo/Valsugana) genannt.
Unser Gebiet unterstand jedenfalls dem langobardischen Herzog, der seinen Sitz in Trient hatte, bis dieses Herzogtum mit dem Langobardenreich der Herrschaft Karls des Großen 774 unterworfen und im Jahre 788 dem Frankenreich eingegliedert wurde.
Kaiser Heinrich II. übertrug 1004 die Grafschaft Trient dem Bischof der Stadt, der Nachfolger 1027 auch noch weitere Gebiete, so dass sein Herrschaftsbereich über Bozen hinaus und westlich der Etsch bis nach Meran reichte. In letzterem Jahr wurde der Bischof von Brixen auf gleiche Weise Landesfürst im Eisack- und Inntal und später auch im Pustertal.
So bestimmte der Bischof von Trient schon vor tausend Jahren die Geschicke des Etschtales, bis ihm die weltliche Macht von den Grafen von Tirol entrissen wurde.
Bereits im Jahre 1181 wurde eine Wiese an der Etsch in Enn genannt, auf der Holzflöße zur Beförderung auf dem Flusse zusammengestellt wurden. Der Holzhandel mit entsprechenden Zolleinnahmen stellte eine wirtschaftliche Grundlage für den Ort dar. Aus dem Gericht Enn, zu dem auch das Berggebiet von Aldein gehörte, und dem Fleimstal wurde das Holz hauptsächlich bis Verona geliefert und von dort auch weiterverkauft.
Mit der Belehnung von namentlich genannten acht Bewohnern, auch im Namen ihrer „Mitbürger“, mit Baugrund und Häusern im Herbst 1189 gründete Bischof Konrad von Trient den „neuen Markt“ von Enn. Damit bewirkte er die Entstehung eines neuen Zentrums südlich der Vill, das nach Trienter Marktrecht behandelt werden sollte.
1194 verzichteten die Brüder Heinrich und Nikolaus von Enn, Söhne des 1190 verstorbenen Heinrich, zugunsten des Bischofs von Trient auf die Neuraute, die sie in den vorhergegangenen zwanzig Jahren im Gebiet von Enn angelegt hatten, und schworen dem Bischof den Treueid. Neun Jahre später übergaben sie ihm auch ihr Schloss (Alt-)Enn, das von Historikern auf Castelfeder vermutet wird, und nahmen es von ihm wieder zu Lehen. Die ehemaligen Edelfreien von Enn waren somit zu Vasallen des Bischofs geworden. Nach einer weiteren Burg, die vielleicht ebenfalls schon im 12. Jahrhundert über dem Villner Bach errichtet worden war, hieß das Patrimonialgericht bis in die Neuzeit „Enn und Caldiff“.
Nachdem die Etsch einen Teil des Ortes überflutet und zerstört hatte, belehnte Bischof Albert von Trient im Jahre 1222 rund dreißig Personen mit Bauparzellen von je drei oder vier Schritt (ca. 5 - 6,60 m) Breite, womit der Marktort an seiner oberen Seite zu verlängern war.
Der bereits blühende Handel, den unter anderem auch eine schon Ende des 13. Jahrhunderts existierende Wechselstube („casana“) beweist, erhielt 1309 einen weiteren Aufschwung: Herzog Otto von Tirol verlieh dem Ort Privilegien, die man als Niederlags- und Rodrecht bezeichnet. Sie bestimmten, dass alle Güter die auf Wagen oder Schiffen nach Neumarkt kamen, hier niedergelegt und durch Bewohner nach einer festgesetzten Reihenfolge von Neumarkt weiterbefördert werden mussten. Handel, Transportwesen, Handwerk und nicht zuletzt das Gastgewerbe konnten so vielen Bürgern den Lebensunterhalt sichern.
Um 1340 wurde wieder ein Großteil des Ortes zerstört, diesmal durch Feuer. Der Tiroler Landesfürst Johann von Böhmen, Gatte der Margarete Maultasch, gewährte Neumarkt daraufhin einen Steuernachlass für zehn Jahre.
Die beiden Hauptkirchen, Unsere Liebe Frau in der Vill sowie St. Nikolaus in Neumarkt, weisen beide noch geringe Baubesubstanz aus dem 14. Jahrhundert auf. An beiden wirkte ab etwa 1400 beziehungsweise 1412 der Steinmetz- und Baumeister Konrad von Neumarkt und in der zweiten Jahrhunderthälfte Peter von Ursel. Die erst kurz nach 1500 vollendete Marienkirche in der Vill gilt als eines der schönsten und elegantesten spätgotischen Bauwerke Tirols. Trotz dieser beiden bedeutenden Sakralbauten und obwohl das Gebiet des heutigen Neumarkt im Mittelalter zeitweise Sitz von gleich zwei Pfarreien war, - von St. Florian aus wurde sogar Margreid versorgt - wurde der Sitz der Pfarre im 13. oder 14. Jahrhundert an die St.-Peters-Kirche in Auer übertragen und Neumarkt von dort aus seelsorglich betreut. Erst im 17. Jahrhundert erhielt Neumarkt einen Kurat, 1841 wurde es wieder Pfarrei und 1893 schließlich Dekanat.
Ein wirtschaftlicher Grundpfeiler für Neumarkt war seit jeher der Handel mit Holz, das aus dem Fleimstal und den angrenzenden Berggebieten an die Etschlände („Reif“ von „Riva“) gebracht wurde. Zusätzlich zum Holz wurden aber bereits im ausgehenden Mittelalter beachtliche Warenmengen umgeschlagen. Von Norden, abgesehen von deutschen Handelszentren sogar aus den Niederlanden und England, kamen beispielsweise Tuchballen, die nach Oberitalien weitergeliefert wurden. Aus dem Süden wurden unter anderem ebenfalls Textilien und Lebensmittel wie Mandeln, Feigen, getrocknete Weintrauben und Zucker nach Neumarkt befördert, die allein eine einzige Abrechnung des Tiroler Landesfürsten aus dem Jahre 1304 auflistet. Von den Tuch- und anderen Warenballen hat das Ballhaus seinen Namen, das als Lagerhalle 1538 am südwestlichen Ortsrand errichtet wurde und noch heute existiert. Den Wohlstand, der durch ganzjährigen Handel und besonders auch anlässlich der Jahrmärkte erworben werden konnte, spiegelt noch heute die Laubengasse wider. Sie erhielt ihr heutiges Aussehen wohl hauptsächlich im16. Jahrhundert, wie durch einige datierte Schlusssteine an Torbogen belegt wird.
Ein Prunkstück profaner Neumarkter Baukultur verdankt man der Familie Terzago, die auch Öler genannt wurde. Mitglieder der Familie waren in der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts mehrfach Bürgermeister, Holzhändler und Holzzöllner und ließen einen Raum nach dem Vorbild des Bischofs von Trient repräsentativ ausschmücken. Nicht zufällig zeigt die Holzdecke neben Wappen bedeutender adeliger und nichtadeliger Familien der Gegend auch jenes der Freien Reichsstadt Augsburg, die eines der wichtigsten Handelszentren war.
Im Laufe des 17. Jahrhunderts stieg Branzoll zum wichtigeren, weil Bozen näheren „Etschhafen“ auf, während Neumarkt an Bedeutung abnahm. Aufgrund der alten Privilegien wurde der Ort aber noch bis 1750 finanziell entschädigt, indem auch die auf der Etsch und auf der Straße an Neumarkt vorbei transportierten Waren jährlich genau verrechnet wurden und der Bürgermeister den Betrag in Empfang nehmen konnte.
Von Neumarkt aus wurde noch lange der große Bedarf an Weingart- und Weingeschirrholz der Nachbarorte des Unterlandes und des Überetsch gedeckt. Die Landwirtschaft selbst spielte hier nun die größere Rolle als früher.
Mit der Eröffnung der Strecke Bozen-Verona der K.k. Südbahn im Jahre 1859 und der Brennerbahn 1867 verloren Etschflößerei und Fernverkehr auf der Straße mit herkömmlichen Mitteln vollends an Bedeutung. Der Bahnhof Neumarkt-Tramin jenseits der Etsch wurde zur Verladestation für Wein und im 20. Jahrhundert auch für Obst.
Der Ort entwickelte sich zum Zentrum des Südtiroler Unterlandes, in dem der Tertiärsektor eine besonders große Rolle spielt. Zahlreiche öffentliche Institutionen haben nämlich hier ihren Sitz oder Büros, so etwa die Bezirksgemeinschaft Überetsch/Südtiroler Unterland mit dem Sozialsprengel Unterland, Grundbuchsamt und Katasteramt, Arbeitsamt mit Berufsberatungsstelle, Amt für Landwirtschaft, Forststation, das Institut für den sozialen Wohnbau des Landes Südtirol, das Nationalinstitut für soziale Fürsorge, verschiedene Gewerkschaften und andere Einrichtungen.
An kulturellen Einrichtungen sind die zwei Mittelpunktbibliotheken (getrennt mit hauptsächlich deutschsprachigem oder italienischsprachigem Bestand) zu nennen, das „Haus Unterland“ als Veranstaltungsort, die „Freilichtspiele Südtiroler Unterland“ mit langjähriger Theatertradition und das „Kunstforum Unterland“, dessen Aufgabe im Wesentlichen darin besteht, in Kunstausstellungen in der Galerie der Bezirksgemeinschaft durchzuführen.
Selbstverständlich stellen zahlreiche Vereine in Neumarkt und Laag auch ein umfassendes Freizeitangebot für alle Alters- und verschiedenste Interessengruppen dar.
- rz 2004 -